Ästhetische Irritationen – über die Kunst von Katrin Kampmann

von Gerhard Charles Rump

Dadurch, dass Katrin Kampmann auch Tusche auf ihren Leinwänden verwendet, erhalten diese einen sehr eigenen, an das Aquarell erinnernden Charakter. Figurenbilder sowie Landschaftsbilder mit Figuren zeigen sich als ein heiteres Panoptikum von Lebenssituationen. Die Bilder sind aber ausschließlich der Malerei und der Bildlichkeit verpflichtet, nur solche Maßstäbe gelten. Maßverhältnisse werden durch die Notwendigkeiten des Bildes bestimmt, nicht nach denen der abbildlichen Wiedergabe von Wirklichkeit. Zwar war das Thema „Figur und Landschaft” schon immer auch eine Gelegenheit zur Interpretation des Verhältnisses des Menschen zur Welt, zur Schöpfung. Joseph Anton Kochs „Schmadribachfall”, oder, noch früher, Meindert Hobbemas „Allee von Middelharnis” und Rubens’ „Landschaft mit Schloss Steen”, sind drei herausragende Beispiele. Bei Katrin Kampmann aber ist, hier eher Rubens’ Bildstrategien aufnehmend, die Bildlichkeit der Maßstab: Alles definiert sich durch das Bild und ist Bild. Aber da spielt auch die Farbe noch eine gewichtige Rolle. Ihre Fleckenstruktur sowie die Wischspuren weisen unzweideutig darauf hin, dass das entscheidende Geschehen hier die Malerei ist. Figuren kommen zumeist als Negativformen mit positiven Binnenstrukturen vor, aber die Malerin lässt bewusst offen, wie das Spiel von Figur und Grund zu sehen ist – ästhetische Irritationen, welche die Art und Weise thematisieren, wie wir Bilder sehen, wie wir ästhetische Informationen entschlüsseln. Information darf ja nicht mit „Bedeutung” verwechselt werden – Semantisches bedarf stets des größeren Zusammenhanges. Weil alles Malerei ist und nicht darauf abzielt eine Realsituation wiederzugeben, dürfen – wir kennen das unter

anderem von Marc Chagall – Figuren auch frei im Bildraum schweben. Anders aber als in vielen älteren Bildern mit schwebenden Gestalten, bestimmen die Schwebefiguren gleich ihren Grund, ihren Teil des Bildraums mit. Ihren Teil, weil der nicht allein der Gesamtraum ist. Der Gesamtraum ist doppelt definiert: Einmal durch die Verschachtelung der Einzelräume, andererseits in toto durch die räumliche Farbtiefe. Das ist weder der Raum der Aggregatperspektive des Mittelalters noch ein zentralperspektivischer Raum noch ein reiner Farbtiefenraum. Wir haben es hier mit einem Bildraum sui generis zu tun, der durch rekurrente Farbelemente flächiger Natur immer wieder auch auf seine Flächengebundenheit qua Malerei verweist. Diese rekurrenten Farbflächenelemente, parallel zur ästhetischen Grenze, winden sich aber, räumlich gesehen, autonom durch den Farbbildraum. So entsteht eine Zwischenwelt von Ungegenständlichkeit einerseits und Gegenständlichkeit – durch die Figuren – auf der anderen Seite. In den jüngsten Arbeiten bahnt sich eine Entwicklung an, dem farbstarken, autonomen (und expressiven) Element noch mehr Raum zu geben, ohne dass die grundsätzlichen Prinzipien aufgegeben werden. Kampmanns Bildfindungen sind stark, tragfähig und noch nicht ausgelotet. Was sie zeigt, ist auf jedem Falle auch im traditionellen Sinne malerisch und kommt auch in historischer Kunst vor, aber hier liegt der Akzent eher auf dem Ungegenständlichen. Und das ist natürlich modern und zeitgenössisch. Es führt aber auch vor, dass sich die künstlerische Weltsicht analog zur Wissen um Welt im außerkünstlerischen Bereich bewegt: Wir sehen keine statischen Ordnungssysteme mehr, sondern dynamische, von strukturierten Zufällen bestimmte Zusammenhänge.