Farbe im Reflex - Hochgebirgige Sphären dialektischen Denkens
von Eva Wißkirchen
Pupillenreflex, Spiegelreflexkamera, Farbreflex-Shampoo – auf welche dieser Aspekte des Begriffs spielt der Titel „Farbe im Reflex“ an: physiologische, technische, alltägliche? Diese Frage zieht einen sogleich in den Wirbel der Reflexion, den Katrin Kampmann mit ihren Werken intendiert: Das Bild wirft sich auf den Betrachter und wird von diesem reflektiert, doch die Reflexion ist hier wie stets in hohem Maße abhängig von der Struktur, auf die das Bild fällt, vom Wesen und der Prägung des Betrachters. Die in ihm wachgerufenen Assoziationen sind sehr individuell und so ist der Wirbel der Reflexion, der zwischen Betrachter und Bild entsteht und sich fortbewegt, stets verschieden. Die semantische Offenheit der Bildthemen, die diese sehr breite, persönlich gefärbte Reflexion ermöglicht, spiegelt sich in der Offenheit und diskreten bis diffusen Farbigkeit der Bildkomposition. Diese spielt souverän mit einer Ästhetik des Dazwischen: So bewegt sich Kampmanns Malerei zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen Melancholie und Lebensfreude, zwischen Intimität und Distanz, zwischen intellektueller Konstruktion und einer Praxis der kontrollierten Kontingenz. Diese disparaten Pole stehen jedoch nie diskret neben-einander, sondern sie fließen ineinander, überlagern sich, wirbeln umeinander, verschmelzen untrennbar. Selbst die Porträts entstehen nicht durch abgrenzende Linienführung, sondern durch Schichtung von Weiß- und Farbflächen. Die Farbe wird zum großen Teil durch Schütten aufgebracht, durch Erfahrung lässt sich dieser Akt zum Teil kontrollieren, aber nie völlig beherrschen. Die Übergänge sind hier so fließend, dass sie nicht selten in Unerkennbarkeit münden. Kampmann drückt damit ein wesentliches Dilemma ihrer Generation aus: Die Erfahrung, dass keine Erkenntnis, Bestimmung oder Grenze unwandelbar festgelegt ist, ist zugleich befreiend und beunruhigend. Um dem Chaos des Informationszeitalters zu trotzen, sehnen sie sich nach Kontrollierbarkeit. Diese löst aber sogleich einen Gegenreflex aus: die Sehnsucht nach
Unbeherrschtheit und Kontrollverlust. Verschwimmen schon in den Porträts die Grenzen, so gilt dies mehr noch für die Landschaften. Sie werden so stark abstrahiert, dass die deutlich auszumachenden figurativen Elemente wie plötzlich aufblitzende Erleuchtungen aus dem Tohuwabohu einer surrealen Traumwelt erscheinen, die keine von uns abgesonderte Parallelwelt ist, sondern unsere Realität, zu der aber Träume, Wünsche und Möglichkeiten genauso gehören wie evidente Fakten. Die Grenzen zwischen diesen beiden Polen Traum und Evidenz fließen ineinander und verschwimmen wie die Farbflächen in Kampmanns Malerei. All diese vielfältigen und starken Dualismen sind es, die Kampmanns Werk vor allem bestimmen. Durch das Spiel dieser Gegensätze rufen die Bilder Kampmanns das Gefühl hervor, sie bemächtigten sich des Betrachters. Doch ebenso bemächtigt sich Kampmann der modernen Bilderflut des Internets, der Werbung, des Kinos, aber auch imaginierter Bilder aus Literatur und Philosophie. Diese Bilder werden von ihr mit den Mitteln der Malerei konterkariert, ohne sie einfach zu negieren oder zu
zerstören. Durch Auswahl, Kombinatorik und Verarbeitung im Malprozess werden sie vielmehr reflektierend durchleuchtet und dem Betrachter in einer Form dargestellt, die es ihm ermöglicht, seine Reflexion auf einer höheren Stufe beginnen zu lassen. Zur Reflexion gehört einerseits das
Innehalten, der Stillstand, den zuerst das Auswählen eines Motiv und später das Betrachten eines Bildes mit sich bringt, aber auch die Bewegung als dialektische Denkbewegung, die zwischen Malerin und Leinwand und später zwischen Bild und Betrachter wirbelt und sich in diesem Erkenntnisraum in immer höhere Sphären windet. Und so möchte man mit der Mater gloriosa in der Schlussszene des Faust ausrufen: „Komm! hebe dich zu höhern Sphären!“ – zu den hochgebirgigen Sphären dialektischen Denkens in der Malerei Katrin Kampmanns.