Camouflage

Kito Nedo

{...} Mit großer darstellerischer Lust konfrontiert die Malerin ihre Protagonisten mit einer phantastischen Gegenwelt, wie sie sich etwa auf dem aus drei Leinwänden bestehenden Großformat Höllenfahrten und Jenseitsreisen (S.36/37) entfaltet. Hier ist es eine bärtige Waldgottgestalt in einer moosgrünen Weste und einem altmodisch geschnittenen Gehrock, die aus dem Schatten der Bäume tritt, um mit einem magischen Fingerschnipsen zwei junge Wanderer aus der Jetztzeit in seinen Bann zu ziehen. Mumienhaft ist das Gesicht des Alten, aus dem jedoch zwei lebendige Augen wie hinter einer Totenmaske funkeln. Seine Geste wirkt uneindeutig, ebenso wie der erhobene Zeigefinger des jungen Mannes, dessen blaues T-Shirt in Brusthöhe eine tribalistische Signatur ziert. War es eine Auseinandersetzung oder die Erschöpfung, welche die dritte Figur zu Boden gezwungen hat? Dass es sich um eine märchenhafte Begebenheit handelt, davon sprechen weitere Bildelemente. Hinter dem Zusammengesunkenen krümmt sich eine regenbogenfarbene Batik-Brücke, die auch seinen aufrecht stehenden Begleiter wie ein Schirm umspannt. Wer über den Regenbogen geht, der erreicht die Räume, in denen sich Unbeschreibliches ereignet. Verbindet die ephemere Struktur Diesseits und Jenseits? Der Krümmung mit den Augen an das jenseitige Ufer folgend, wird man auf fünf menschliche Umrisse aufmerksam. Nur schemenhaft zeichnen sie sich im Hintergrund der Szenerie ab. ‚Statisten’ werden sie von Kampmann genannt, ohne die jedoch das Bild nicht vollständig wäre. Ihre flächige Darstellung lässt vielfältige Deutungen zu. Sind es Jäger oder Kämpfer in voller Camouflage-Montur oder Götter, Geister, körperlose Schatten? Stumm beobachten sie das Geschehen, neugierig auf den Ausgang der seltsamen Begegnung zwischen dem Alten und den beiden Jungen. Diese merkwürdige Koexistenz von Real- und Schattenwelt findet sich auch im Gemälde Für Zeitfahrer in dem eine männliche Figur und sein schattenartiges Alter Ego vor einem Patchwork aus unregelmäßigen Farbflecken und weißen Flächen posiert. Unwillkürlich assoziiert man die Szenerie als Waldgelände. Hier, wie auch in den anderen Gemälden, die jedoch in Innenräumen handeln, wie etwa Die einfache Explosion, Medusa, komm: Wir machen ihn zu Stein oder Der endlose Tag (S.21) zeigt sich, dass Kampmann Räume nicht über Perspektive definiert, sondern sie mit Hilfe von Farbe und Form aufbaut. In Die einfache Explosion ist es ein übergroßes Bücherregal, welches dem Bild Struktur und Gewicht verleiht und aus welchem sich eine Frauenfigur förmlich herauszuschälen scheint. Auch Medusa, komm: Wir machen ihn zu Stein verlangt durch seine offene Struktur vom Betrachter, den Raum, in dem sich ein Paar vergnügt, im Akt der Betrachtung bewusst zu konstruieren. Die Vielzahl der abstrakten Elemente – aquarellierte Flächen, die vielen klecksförmigen Einsprengsel, die teilweise mit Schablonen gesprüht, teilweise  mit dem Pinsel auf die Leinwand gebracht werden, die Camouflage-Elemente oder die vertikal strukturierenden Farbrinnsale – gibt den Bildern Kampmanns ihren verwirrenden Charakter. Die Anwendung verschiedener Schütt-, Sprüh-, Druck- und Schablonentechniken macht das Werk der ehemaligen Meisterschülerin von K.H. Hödicke zu einer offenen Versuchsanordnung über die verschiedenen Aggregatszustände von Farbe und Form. Dabei bleibt das Ineinanderblenden von Formen und Farben nicht Selbstzweck, sondern ist auf eine Mehrdeutigkeit gerichtet, welche die Begegnung mit diesen Bildern zu einer Herausforderung machen. Das Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters ist ein fortwährendes Thema in der Malerei und gewann in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts auch zunehmend Bedeutung für andere gesellschaftliche Bereiche, etwa die Psychologie oder das Militär. Als lehrreich erwies sich die Beobachtung der Natur.

Von den Tricks, mit der sich Jäger und Gejagte im Tierreich einen Vorteil im Kampf um das Überleben zu sichern suchen, lernten Künstler, Biologen und Militärs gleichermaßen. Als Picasso während einer der ersten Paraden von Artillerie in Tarnanstrich durch die Straßen von Paris rollen sah, soll er ausgerufen haben: „Wir sind es, die dies geschaffen haben!“ Das Auftauchen jener Farbflecken-Muster, welche die Bilder Kampmanns in Bewegung halten, muss man nicht als Referenz an abstrakte Traditionen verstehen. Vielmehr könnte man mit Andy Warhol fragen: „What can I do that would be abstract but not really abstract?” Der Meister der Pop-Art begann kurz vor seinem Tod damit, Camouflage-Muster in unmilitärischen Farbkombinationen zu entwerfen und teilweise mit Selbstportraits zu kombinieren. Sie erzählen von der Sehnsucht des Verschwindens im eigenen Werk. Was also verbirgt sich in den Bilder von Katrin Kampmann? Auf jeden Fall der Wille der Künstlerin zur Mehrdeutigkeit und zur Offenheit. Wie in einem Gegenzauber versucht die Malerin, der Massivität geschlossener Bilder der Mediensphäre etwas Anderes entgegenzusetzen. Für den Betrachter ihrer Kunst bedeutet dies die Freiheit, eigene Assoziationsketten durch die Bilder der Malerin zu finden. Darüber hinaus folgt Kampmann mit ihren neuen Bildern einer der wesentlichen Aufgaben der Malerei: Natur, Raum und Figur mit stets neuen Augen zu sehen und ihrem Werk neue Zusammenstellungen von Licht und Farbe zu erschaffen.

 Gespräch mit der Künstlerin, Dezember 2008.

 Zitiert nach Tim Newark „Camouflage“, Hrsg. Imperial War Museum, London 2007, S. 8.

 Dazu http://edu.warhol.org/aract_camo.html.